Konzertbericht: Axel Zwingerberger´s Boogie Woogie News 2017

Axel Zwingenberger’s Boogie Woogie News 2017, Metropol, 22.3.2017

… könnte man getrost auch unter das Motto stellen „Piano Players Rarely Ever Play Together“, angelehnt an ein legendäres Video der drei New Orleans Pianisten Professor Longhair, Allen Toussaint und Tuts Washington, wobei das gegenständliche Konzert durchaus als die die Regel bestätigende Ausnahme gelten kann – vier Pianisten hörte man zu zweit auf einem Klavier, zu zweit auf zwei Klavieren, sogar zu viert auf zwei Klavieren (und nicht einmal DA versunken im Chaos!). Im Finale kam mit Hamish Maxwell noch ein Sänger dazu, der den Blues Shouter „Big“ Joe Turner als sein Vorbild bezeichnet.

„Boogie Woogie News“ ist der Tatsache zu verdanken, dass alle vier Gäste Axels noch nie zuvor in Wien zu sehen waren, obwohl sie zum Teil schon seit Jahrzehnten musikalisch aktiv sind. Vielleicht um schon in die Ankündigung Struktur hineinzubringen, vielleicht um von vornherein auf stilistische Unterschiede hinzuweisen, wurden die Musiker in Kategorien eingeteilt, die deren Charakteristika nur zum Teil gerecht werden.

Zwingenberger erscheint als Erster allein auf der Bühne, spricht einleitende Worte und spielt danach zwei Stücke alleine, von denen ich behaupte, sie noch nie zuvor von ihm gehört zu haben. Dann bittet er Niels Von Der Leyen vor den Vorhang, einen seiner langjährigen Bewunderer, dem er neben Vince Weber vom Start weg Vorbild war. Mit „Suitcase Blues“ und „Boogie Woogie Stomp“ spielt dieser zwei der bestens bekannten Nummern des Genres, die er allerdings mit eigenen Elementen und Variationen versieht, so dass sie etwa doppelt so lang werden wie die Originale. Dazwischen stellt er seine Eigenkomposition „Rush Hour“ vor, die die chaotischen Verkehrsbedingungen während der Stoßzeit illustriert und folgerichtig mit Stillstand endet. Dieses kraftvolle, energiegeladene Stück würde ich als „zeitgenössischen Boogie Woogie“ bezeichnen. Niels hat sich seinen Stellenwert  als gefragter einschlägiger Pianist zumeist in Kleingruppen (Blues & Boogie Kings, Niels von der Leyen Trio, Boogie Rockets, Boogiesoulmates) in Deutschland, aber auch international erarbeitet. Kurze, prägnante Glissandi streut er in jeden Titel ein; diese mögen als ein Markenzeichen gelten.

Von Gottfried Böttger kam erst vor kurzem eine live-CD zusammen mit Henning Pertiet heraus, „Family Boogie Live“, die ich noch nicht gehört habe, auf der berichteter weise „contemporary boogie woogie (?)“ zu hören sein soll. Gottfried spielt darauf eine Strideversion von „Sweet Georgia Brown“, Henning gibt Thelonious Monk als eines seiner großen Vorbilder an – auf den zeitgenössischen Boogie bin ich schon gespannt.

Böttger ist mit größter Wahrscheinlichkeit der universellste der vier Pianisten; ihn mit Boogie Woogie zu apostrophieren würde nicht weit genug gehen, auch Stride oder Ragtime trifft nicht den Kern,  war er doch als der „Mann am Klavier“ in Udo Lindenbergs „Rentnerband“ und dem „Panikorchester“ jahrelang in einem anderen Genre unterwegs. Von Axel angesagt beginnt er mit einem Stück von Jelly Roll Morton, spielt dann eine „humorvolle“, weil variationenreiche Version von Fats Waller’s „Honeysuckle Rose“, setzt mit einer atemberaubenden Interpretation von Ellington’s „C-Jam Blues“ fort, widmet das darauf folgende Lied dem längst verstorbenen Klavierspieler Richard Tee aus San Francisco, den er vor Ort oft getroffen und sehr bewundert hat und der als Hauspianist bei Motown Records in Detroit mit Boogie oder Stride  wenig zu tun hatte, diese Stilrichtungen aber dennoch perfekt spielen konnte. Dann gesellt sich Axel zu ihm und die beiden Herren fangen vierhändig mit einem langsamen Blues an, setzen mit schnellem Boogie fort, ehe mit „Ain’t She Sweet“ Ragtime/Stride zu hören ist, welcher auf zwei Klavieren begonnen vierhändig auf einem Klavier endet.

Obwohl James Goodwin (zumindest aus der Distanz) recht jugendlich ausschaut, ist er doch schon seit mehr als 20 Jahren in Sachen Piano -Blues und -Boogie unterwegs. Er interessiert sich für die Historie des Genres und hat unter den Titeln „Ragtime to Rock ’n‘ Roll“ und „Flavours of Boogie Woogie“ sogar einschlägige Programme parat. An diesem Abend steht er für das Barrelhouse-Piano  und wird diesem Attribut auch ordentlich gerecht. Einschränkend stelle ich allerdings fest, dass Goodwin im Gegensatz zu seinen altvorderen Kollegen (unter vielen anderen Cow Cow Davenport,  Champion Jack Dupree,  Little Brother Montgomery,  Edwin „Buster“ Pickens,  Robert Shaw…) nicht singt, viel zu genau und ohne Fehler Klavier spielt, noch dazu auf einem perfekt gestimmten Bösendorfer. Obwohl er gerne langsame, gefühlvolle Bluesnummern spielt (oft auch mit Stride-Elementen drin), kann er durchaus auch schnellen Boogie in die Tasten hämmern.

Nein, Pedale verwendet er nicht, dafür klopft er mit den Füßen den Rhythmus auf den Bühnenboden. Mit „See See Rider“ und „Florida Bound“ (Bessie Smith) hören wir von ihm klassische Titel, dazu einige Eigenkompositionen.

Ohne jeden Zweifel „Chef im Ring“ ist Axel Zwingenberger, der sich zwischendurch immer wieder einmal an den Flügel setzt und ein paar Titel spielt. Nichts anderes als gefühlvolles und fehlerloses Spiel wird von ihm erwartet; das Publikum bedankt sich stets mit donnerndem Applaus, auch bei den wenigen langsamen Liedern. Als MC ist Axel souverän, seine Ansagen transparent und verständlich. Er wirkt sympathisch und professionell; Anbiederung an die zahlreichen Besucher lehnt er ab, seine Autorität ist jederzeit unumstritten. Seinen Bühnenkollegen ist er Primus inter Pares, stellt aber seine Führungsrolle nicht in den Vordergrund.

Ihm selbst ist es vorbehalten, den letzten Teilnehmer des Abends zu präsentieren und zu begleiten, den 81-jährigen Sänger Hamish Maxwell. Zunächst setzt er sich aber an den linken der beiden Bösendorfer und spielt alleine den „Mister Freddie Blues“, den schnellen „Manhattan Boogie“ (nach meiner Erinnerung die einzige Nummer des Abends mit einem „walking bass“), einen langsamen Bluestitel und zuletzt seine Komposition „Boogie Woogie Be With Me“, die sich längst zu einem Klassiker entwickelt hat und mittlerweile auch schon von anderen Pianisten nachgespielt wird.

Dann bittet er Hamish Maxwell auf die Bühne, den man getrost als einen Veteranen bezeichnen darf, der seit den fünfziger Jahren die verschiedensten Bühnen zumeist in seiner Heimat England bevölkert. Der äußerst vital wirkende Senior bewegt sich sehr lebhaft, wenn auch nicht immer synchron mit seinem Gesang. Er nennt den legendären Blues-Shouter Big Joe Turner sein Vorbild und bringt dies auch zum Ausdruck, indem er einige Lieder Turner’s präsentiert, die derselbe auch schon mit Axel auf Platten eingespielt hat. Wir hören mit „Cherry Red“, „Roll ‚em Boy“, „Hide and Go Seek“ und „Low Down Dog“ einige Klassiker, mit „Chains of Love“ eine Schnulze aus 1959 und noch einige andere Stücke. Maxwell ist ein routinierter Performer; stimmlich kann man ihn als Shouter bezeichnen, an Big Joe kommt er allerdings nicht heran; dennoch war er eine Bereicherung des Abends.

Unter großem Applaus verlässt er die Bühne, und Axel ruft seine Klavierkollegen heraus, um mit ihnen zusammen das große Finale zu bestreiten. Vier Pianisten auf zwei Flügeln, und das organisiert wirkend – man wird unverzüglich an das Zusammenspiel der Legenden Ammons, Johnson und Lewis erinnert. Zu allerletzt wird auch Hamish Maxwell noch einmal ans Mikrophon gerufen, und mit „Shake, Rattle & Roll“ und dem „How Long Blues“ geht ein grandioses Konzert endgültig zu Ende.

Werner Simon, 24.3.2017